Wie kommt es zu (k)einer Erzählung? Zum erzähl- und argumentationsgenerierenden Potenzial von Wie-kommen-Stimuli in qualitativen Interviews
Hauptsächlicher Artikelinhalt
Abstract
Erzählungen stellen in verschiedenen Verfahren der qualitativen Interviewforschung die methodologisch primäre Textsorte dar. In der Methodenliteratur finden sich entsprechend zahlreiche Hinweise darauf, mit welchen Stimuli Erzählungen elizitiert werden können. Die systematische, empirische Untersuchung der tatsächlichen Fragewirkungen steht allerdings größtenteils noch aus. Im vorliegenden Aufsatz tragen wir dazu bei, diese Forschungslücke zu füllen. Dabei fokussieren wir auf verschiedene Varianten von vergangenheitsorientierten „wie kommen“-Konstruktionen, nachdem Formulierungen wie „wie kam es, dass …?“ oder „wie kam das?“ in Lehr- und Einführungswerken zu diversen Interviewformaten als Erzählstimulus empfohlen werden. Grundlage unserer empirischen Untersuchung sind 72 Wie-kommen-Stimuli, die wir im Zuge zweier sekundäranalytisch ausgerichteter Methodenforschungsprojekte zur qualitativen Interviewforschung in acht thematisch und methodisch unterschiedlich ausgerichteten Studien identifiziert haben. Unsere Analyse zeigt, dass Wie-kommen-Formulierungen von den Interviewten üblicherweise nicht als reiner Erzählstimulus behandelt werden. Vielmehr folgen auf solche Stimuli auch und in den meisten Fällen sogar dominant argumentative Sachverhaltsdarstellungen. Im vorliegenden Beitrag weisen wir diese unerwartet polyseme, d.h. mehrdeutige Interpretation von Wie-kommen-Stimuli detailliert nach, zeigen, wie Interviewende dieser Polysemie entgegenwirken können und bieten eine Erklärung an, warum es bei Wie-kommen-Konstruktionen oft zu keiner Erzählung kommt.
Bibliographie: Coussios, Georgios/Eckert, Judith: Wie kommt es zu (k)einer Erzählung? Zum erzähl- und argumentationsgenerierenden Potenzial von Wie-kommen-Stimuli in qualitativen Interviews, BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 1+2-2024, S. 182-211.
Artikel-Details
Literatur
Alheit, Peter (1999): Das narrative Interview – Eine Einführung (Reprint). Voksenpoedagogisk Teorieudvikling, Arbeidstekster Nr. 11, Roskilde: Roskilde Universitetscenter.
Auer, Peter (1986): Kontextualisierung. In: Studium Linguistik, 19, Heft 1, 22-47.
Barié-Wimmer, Friederike (2018): Wissen, Sprache und Kultur. Ein Beitrag zur Analyse der kommunikativen Gattung Interview, Reihe interkulturelle Kommunikation, Bd. 14, München: Iudicium Verlag.
Bergmann, Jörg R. (1981): Frage und Frageparaphrase: Aspekte der redezuginternen und sequenziellen Organisation eines Äußerungsformats. In: Peter Winkler (Hg.): Methoden der Analyse von Face-to-Face-Situationen. Stuttgart: Metzler, 128-142.
Bohnsack, Ralf (2017): Praxeologische Wissenssoziologie. UTB, Bd. 8708, Opladen, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Carlson, Sören, Lena Kahle und Denise Klinge (2018): Wenn Narrationen nicht zustande kommen… Wie hochreflexive Berufsfelder dazu beitragen, dass argumentativ-evaluative Darstellungsweisen im narrativen Interview dominant werden, in: Zeitschrift für Qualitative Forschung, 18, Heft 2, Schwerpunktheft: Biographisches Wissen, 239-262.
Coussios, Georgios (in Vorbereitung): Antworten und ihre Fragen. Eine interaktional linguistische Untersuchung im Kontext onkologischer Befund- und Aufklärungsgespräche, Dissertation, Universität Hamburg.
Deppermann, Arnulf (2013): Interview als Text vs. Interview als Interaktion [61 Absätze]. In: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 14, Heft 3, Art. 13. https://doi.org/10.17169/fqs-14.3.2064
Eckert, Judith, Georgios Coussios, Malin Houben und Carsten G. Ullrich (in Vorbereitung): Fragen und Antworten in qualitativen Interviews. Empirische Analysen zu einem spezifischen Interaktionstyp, München: De Gruyter Oldenbourg.
Eckert, Judith, Malin Houben und Carsten G. Ullrich (2024): Textsorten und Textsortenbestimmung in der qualitativen Interviewforschung: ein methodologisches Update [65 Absätze]. In: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 25, Heft 2. https://doi.org/10.17169/fqs-25.2.4123
Gohl, Christine (2006): Begründen im Gespräch. Eine Untersuchung sprachlicher Praktiken zur Realisierung von Begründungen im gesprochenen Deutsch, Reihe Germanistische Linguistik, Bd. 267, Tübingen: Max Niemeyer Verlag.
Gumperz, John Joseph (1982): Discourse strategies. Studies in Interactional Sociolinguistics, Vol. 1, Cambridge: Cambridge University Press.
Gumperz, John Joseph (1992): Contextualization and understanding. In: Alessandro Duranti und Charles Goodwin (Hg.): Rethinking context. Language as an interactive phenomenon, Studies in the Social and Cultural Foundations of Language, Cambridge: Cambridge University Press, 229-252.
Helfferich, Cornelia (20114): Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Hermanns, Harry (1982): Berufsverlauf und soziale Handlungskompetenz von Ingenieuren. Eine biografieanalytische Untersuchung auf der Basis narrativer Interviews, Dissertation, Gesamthochschule Kassel 1982, Kassel: Gesamthochschule.
Holtgrewe, Ursula (2009): Narratives Interview. In: Stefan Kühl, Petra Strodtholz und Andreas Taffertshofer (Hg.): Handbuch Methoden der Organisationsforschung. Quantitative und qualitative Methoden, Wiesbaden: VS Verlag, 57-77.
Houben, Malin und Judith Eckert (2022): Die Arbeit mit archivierten Interviewdaten in einem methodologischen Sekundärforschungsprojekt: Reflexionen zur Archivierung qualitativer Forschungsdaten, in: Forum Qualitative Sozialforschung/Forum: Qualitative Social Research, 23, Heft 1, Art. 22. http://dx.doi.org/10.17169/fqs-23.1.3701
Kallmeyer, Werner und Fritz Schütze (1977): Zur Konstitution von Kommunikationsschemata der Sachverhaltsdarstellung. Dargestellt am Beispiel von Erzählungen und Beschreibungen, in: Dirk Wegner (Hg.): Gesprächsanalysen: Vorträge, gehalten anlässlich des 5. Kolloquiums des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik, Bonn, 14.-16. Okto-ber 1976, Forschungsberichte des Instituts für Kommunikationsforschung und Phonetik der Universität Bonn, Bd. 65: Reihe 1, Kommunikationsforschung, Hamburg: Buske, 159-274.
Kruse, Jan (20152): Qualitative Interviewforschung. Ein integrativer Ansatz, Grundlagentexte Methoden, Weinheim, Basel: Beltz Juventa.
Küsters, Ivonne (20092): Narrative Interviews. Grundlagen und Anwendungen, Hagener Studientexte zur Soziologie, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Lucius-Hoene, Gabriele und Arnulf Deppermann (20042): Rekonstruktion narrativer Identität. Ein Arbeitsbuch zur Analyse narrativer Interviews, Wiesbaden: VS Verlag.
Majer, Martina (2012): Stimmen gegen das Vergessen. Interviews mit jüdischen Emigranten, Stauffenburg Linguistik, Bd. 66, Tübingen: Stauffenburg Verlag.
Mey, Günter (2000): Erzählungen in qualitativen Interviews: Konzepte, Probleme, soziale Konstruktion, in: Sozialer Sinn, 1, Heft 1, 135-151. Online: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-4471 (21.4.2025).
Misoch, Sabina (20192): Qualitative Interviews. Berlin, München, Boston: de Gruyter.
Morek, Miriam, Vivien Heller und Uta Quasthoff (2017): Erklären und Argumentieren. Modellierungen und empirische Befunde zu Strukturen und Varianzen, in: Iris Meißner und Eva Lia Wyss (Hg.): Begründen – Erklären – Argumentieren. Konzepte und Modellierungen in der Angewandten Linguistik, Stauffenburg Linguistik, Bd. 93, Tübingen: Stauffenburg Verlag, 11-46.
Nohl, Arnd-Michael (20175): Interview und Dokumentarische Methode. Anleitungen für die Forschungspraxis, Qualitative Sozialforschung, Wiesbaden: Springer VS.
Reinders, Heinz (20163): Qualitative Interviews mit Jugendlichen führen. Ein Leitfaden, Berlin, Boston: De Gruyter Oldenbourg.
Richardson, Stephen A., Barbara Snell Dohrenwend und David Klein (1979): Die „Suggestivfrage“. Erwartungen und Unterstellungen im Interview, in: Hopf, Christel (Hg.): Qualitative Sozialforschung, Stuttgart: Klett-Cotta, 205-231.
Riemann, Gerhard (1987): Das Fremdwerden der eigenen Biographie. Narrative Interviews mit psychiatrischen Patienten, München: Fink.
Rosenthal, Gabriele (1995): Erlebte und erzählte Lebensgeschichte: Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen, Frankfurt am Main: Campus.
Rosenthal, Gabriele (20155): Interpretative Sozialforschung. Eine Einführung, Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Schimank, Uwe, Karin Gottschall, Betina Hollstein, Nils Christian Kumkar und Stefan Holubek-Schaum (2023): Lebensführung der Mittelschichten. Praktiken, Bedingungen, Störungen. Lebensführung der Mittelschichten. Praktiken, Bedingungen, Störungen. Transkripte der Interviews [dataset]. In: Qualiservice, PANGAEA, 12.1.2023. https://doi.org/10.1594/PANGAEA.954022 (2.5.2025).
Schütze, Fritz (1976): Zur Hervorlockung und Analyse von Erzählungen thematisch relevanter Geschichten im Rahmen soziologischer Feldforschung: dargestellt an einem Projekt zur Erforschung von kommunalen Machtstrukturen, in: Weymann, Ansgar (Hg.): Kommuni-kative Sozialforschung. Alltagswissen und Alltagshandeln, Gemeindemachtforschung, Polizei, politische Erwachsenenbildung, München: Fink, 159-260.
Schütze, Fritz (1977): Die Technik des narrativen Interviews in Interaktionsfeldstudien: dargestellt an einem Projekt zur Erforschung von kommunalen Machtstrukturen, Universität Bielefeld, Fakultät für Soziologie.
Schütze, Fritz (1983): Biographieforschung und narratives Interview, in: Neue Praxis, 13, Heft 3, 283-293.
Schütze, Fritz (1987): Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien: Erzähltheoretische Grundlagen. Teil 1. Merkmale von Alltagserzählungen und was wir mit ihrer Hilfe erkennen können, Studienbrief der Fernuniversität/Gesamthochschule Hagen.
Schütze, Fritz (2016): Biographieforschung und narratives Interview, in: Fiedler, Werner und Heinz-Hermann Krüger (Hg.): Sozialwissenschaftliche Prozessanalyse. Grundlagen der qualitativen Sozialforschung, Leverkusen: Verlag Barbara Budrich, 55-73.
Ullrich, Carsten (20202): Das Diskursive Interview. Methodische und methodologische Grundlagen, Wiesbaden: Springer VS.
Wengraf, Tom (2001): Qualitative research interviewing. Biographic narrative and semi-structured methods, London: SAGE.
Witzel, Andreas und Herwig Reiter (2022): Das problemzentrierte Interview – eine praxisorientierte Einführung, Weinheim und Basel: Beltz Juventa.
Zifonun, Gisela, Ludger Hoffmann und Bruno Strecker (1997): Grammatik der deutschen Sprache, Berlin: de Gruyter.