Kritik der Binarität. Zur ästhetischen Aktualisierung einer feministischen Forderung
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Abstract
Die feministische Kritik an Binaritäten – zwischen Natur und Kultur, zwischen ‚Frauen‘ und ‚Männern‘ – hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer Selbstverständlichkeit etabliert, die kaum mehr in Frage gestellt wird. Die politische Überwindung gesellschaftlicher Unterdrückungsverhältnisse, so die ökofeministische These, lässt sich nur auf Grundlage einer vorausgehenden, epistemologischen Überwindung binären Denkens verwirklichen. Im Gegensatz dazu argumentiert dieser Artikel für eine methodische Beibehaltung der konzeptuellen Binarität von Kultur und Natur als Voraussetzung für die politische Überwindbarkeit der Geschlechterbinarität. Denn nur, wo das strukturell hierarchische Verhältnis zwischen Natur und Kultur als solches anerkannt wird, wird die politische Verantwortung für die kulturelle Gestaltung dieses Verhältnisses deutlich. Dies hat methodische Konsequenzen für die Frage der philosophischen Konzeptualisierung von Natur: Für eine politische Kritik der Geschlechterbinarität reicht die Ablösung des biologistischen Naturbegriffs des Differenzfeminismus durch den neomaterialistischen Naturbegriff des Ökofeminismus nicht aus. Erforderlich ist vielmehr die Reaktualisierung eines alternativen, ästhetischen Naturbegriffs, der es ermöglicht, die Binarität von Natur und Kultur auf eine Weise zu affirmieren, die die gesellschaftliche Naturalisierung kultureller Binaritäten politisiert.
Schlagwörter: Natur, Kultur, Binarität, Dichotomie, Ästhetik
Bibliographie: Hunter, Leonie: Kritik der Binarität. Zur ästhetischen Aktualisierung einer feministischen Forderung, FZG – Freiburger Zeitschrift für GeschlechterStudien, 2025, S. 83-98.
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