Das (vermeintliche) Scheitern von narrativen Interviews Zum Erkenntnispotenzial von Interviewdynamiken
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Abstract
In diesem Beitrag plädiere ich aus einer biographietheoretischen Perspektive dafür, Interviewdynamiken als empirisches Phänomen eines konkreten Forschungsfeldes zu betrachten. Empirische Basis bilden meine biographieanalytische und ethnographische Forschung zu biographischen Verläufen und Handlungsstrukturen im Feld der Polizei sowie ein Forschungsprojekt, in dem die intergenerationalen Handlungs- und Erinnerungsstrukturen in Familien stigmatisierter NS-Opfer in Österreich und Deutschland in einer biographietheoretischen Mehrgenerationenstudie untersucht werden; in diesem Artikel fokussiere ich auf Interviews, die in diesem Rahmen mit Mitgliedern der Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen geführt wurden. Anhand der Beispiele wird gezeigt, dass (vermeintlich) problematische Interviewdynamiken in einem Forschungsfeld für den Erkenntnisgewinn genutzt werden können und, dass es sich bei der Art wie narrative Interviews verlaufen nicht (nur) um individuelle Verläufe handelt, sondern (auch) um gruppen- bzw. feldspezifische Forschungsergebnisse. Ob und inwiefern narrative Interviews „gelingen“ oder „scheitern“, kann mit der Strukturierung des Forschungsfeldes erklärt werden und steht in Wechselwirkung mit dem Forschungsdesign.
Bibliographie: Schäfer, Miriam: Das (vermeintliche) Scheitern von narrativen Interviews. Zum Erkenntnispotenzial von Interviewdynamiken, BIOS – Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, 1+2-2024, S. 118-137.
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