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Auf dem Weg zum gläsernen Staat? Privatsphäre und Geheimnis im digitalen Zeitalter

Göttrik Wewer

Volltext: PDF

Abstract


Zusammenfassung

Die Grenzlinie zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit ist nicht starr, sondern hat sich im Laufe der Geschichte immer mal wieder verschoben. Gegenwärtig ist eine merkwürdige Koalition aus kommerziellen „Datenfressern“ wie Facebook, Google und Co. und auch Netzaktivisten mit der Parole unterwegs, das Zeitalter der Privatsphäre sei nunmehr vorbei. Während die einen am „gläsernen Bürger“ arbeiten, zielen die anderen auf einen „gläsernen Staat“. Danach würden Staat und Verwaltung nicht nur ihre Datenbestände für kommerzielle Nutzungen bereitstellen („Open Data“) und „soziale Medien“ im Web 2.0 nutzen („Open Government“), sondern letztlich ganz auf vertrauliche Informationen und Geheimnisse verzichten sollen („totale Transparenz“). Plattformen wie WikiLeaks haben sich darauf spezialisiert, staatliche Geheimnisse aufzudecken; die Bediensteten werden offen ermuntert, ihre Verschwiegenheitspflicht zu ignorieren und Dienstgeheimnisse auszuplaudern („Whistleblowing“). Nur so ließen sich Machtmissbrauch und Korruption eindämmen. Wenn sich diese Ideologie totaler Transparenz durchsetzen würde, stünde am Ende eine weitere Schwächung des demokratischen Staates: gegenüber den Internetriesen, die ihre eigenen Daten und Strategien keineswegs offenlegen, und gegenüber diktatorischen Regimes, in denen das staatliche Geheimnis alles gilt und das private Geheimnis nichts. Aber auch die Gesellschaft würde sich massiv verändern, wenn das Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit sowie Geheimnis und Verrat nicht mehr in der politischen Auseinandersetzung jeweils immer neu ausbalanciert, sondern in totaler Transparenz aufgelöst würden: keine Privatheit mehr, keine Geheimnisse mehr. Die Frage ist, ob das ein erstrebenswertes Gesellschaftsmodell oder ob es an der Zeit ist, Einhalt zu rufen.

Schlagworte: Privatsphäre, Öffentlichkeit, Dienstgeheimnis, Geheimnisverrat, totale Transparenz, gläserner Staat

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Welcome, big glassy state? Privacy and secrecy in the digital age

Abstract

The borderline between the private and the public is not a fixed one, and it has shifted from time to time during the course of history. Presently, a strange coalition of commercial “data guzzlers” like Facebook, Google etc and Internet activists try to assure us that the age of privacy is now over. While the former are working to achieve a “transparent citizen”, the latter aim for a “transparent state”. According to that concept, state and administration should not only offer their data for commercial use (“open data”) and use “social media” in the Web 2.0 (“open government”), but they should ultimately completely forego confidential information and secrecy (“total transparency”). Organisations like WikiLeaks have specialised in uncovering state secrets; public employees are openly encouraged to ignore their duty of silence and to publicise official secrets (“whistleblowing”). The underlying argument is that this is the only way to rein in abuse of power and corruption. If this ideology of total transparency were to become dominant, this could well result in a further weakening of the democratic state, both with regard to corporate giants on the Internet (who do not publicise their own data and strategies) and to dictatorial regimes (who treasure secrecy and scorn privacy). But society would also change massively, if the tension between the private and the public as well as between secrecy and treason need no longer be discussed and rebalanced in political discourse, but would be resolved once and for all for total transparency: there would be no more privacy, and no more secrets. It is questionable, whether this would be a desirable model of society, or whether it is time to call for an end of that debate.

Keywords: privacy, publicity, official secrets, treason, total transparency, Big glassy state

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Bibliographie: Wewer, Göttrik: Auf dem Weg zum gläsernen Staat? Privatsphäre und Geheimnis im digitalen Zeitalter, dms – der moderne staat – Zeitschrift für Public Policy, Recht und Management, 2-2012, S. 247-262. https://doi.org/10.3224/dms.v5i2.01

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Literaturhinweise