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Kausale Mechanismen des Behördenversagens: Eine Prozessanalyse des Fahndungsfehlschlags bei der Aufklärung der NSU-Morde

Wolfgang Seibel

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Abstract


Zusammenfassung

Der Beitrag analysiert das Versagen der Polizeibehörden von Bund und Ländern bei der Aufklärung der Serienmorde an Immigranten zwischen 2000-2007 („NSU-Morde“). Das geschieht im Wege einer Prozessanalyse und durch eine theoretische Interpretation, mit deren Hilfe systemische und insofern verallgemeinerbare kausale Mechanismen des Behördenversagens identifiziert werden. Es wird argumentiert, dass für das Behördenversagen Flucht aus der Verantwortung auf Seiten einiger weniger Spitzenbeamter und Politiker ausschlaggebend war, die die von ihren Mitarbeitern erarbeitenden Vorschläge zur Erweiterung des Fahndungsansatzes und Effektivierung des Fahndungsapparates nicht aufgegriffen haben. Effektivere Fahndungsanstrengungen und die dafür nötigen politischen Entscheidungen unterblieben aus Scheu vor inneradministrativen und innerföderativen Konflikten. Dies wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit anders gewesen, wenn die Mordopfer Angehörige der deutschen Mehrheitsgesellschaft gewesen wären – nicht, weil die Entscheidungsträger rassistisch eingestellt waren, sondern weil sie sichbei unklarer Eingrenzung des Kreises der Betroffenen und damit möglicher künftiger Opfer Untätigkeit nicht hätten leisten können. Dieser Befund führt vor Augen, dass auch im demokratischen Rechtsstaat der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit und die Durchsetzung der Gleichheit vor dem Gesetz zur Disposition persönlicher und politischer Opportunitätskalküle stehen können, wenn andere legitime Prinzipien demokratischer Verfassungsstaatlichkeit wie das Mehrheitsprinzip und die Konfliktvermeidung unter Verwaltungsträgern entsprechende Anreize setzen.

Schlagworte: Organisationsversagen, Kausale Mechanismen, Framing Effekte, Verantwortung, Elitenversagen

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Causal Mechanisms of Administrative Failure: A Process Tracing Analysis of the Failure of German Law Enforcement Authorities in the Investigation Into the Serial Killing of Immigrants, 2000-2007

Abstract

The present paper analyzes the failure of German law enforcement authorities in the investigation into the serial killing of immigrant shopkeepers in Germany in 2000-2007 known as NSU-Murders (NSU standing for Nationalsozialistischer Untergrund or National- Socialist Underground). The technique of study is causal process tracing and a theory-guided identification of systemic thus predictable causal mechanisms of administrative and political failure. The argument is that failure was caused by denial of responsibility displayed by high level administrative and political decision makers rather than by rank and file law enforcement officials and their alleged xenophobic leanings. Denial of responsibility took the form of riskaverse behavior which in turn meant not to streamline a fragmented criminal investigation apparatus nor to reassess the investigation hypothesis as explicitly suggested by experts. This, the paper states, would have been different if the victims of the serial killings would have been ordinary Germans. Not because law enforcement official were xenophobic or racist but because they could not have afforded similar inaction when facing serial killings with an indeterminable range of future victims as opposed to the clearly identifiable group of immigrant petty shopkeepers. Which makes evident that even in a democratic state and under the rule of law the protection of human life and security may be subject to personal and political opportunism as soon as otherwise legitimate principles of democratic constitutionalism such as majoritarian rule and conflict-avoiding inter-agency linkages set applicable incentives.

Keywords: Organizational Failure, Causal Mechanisms, Framing Effects, Responsibility, Elite Failure

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Bibliographie: Seibel, Wolfgang: Kausale Mechanismen des Behördenversagens: Eine Prozessanalyse des Fahndungsfehlschlags bei der Aufklärung der NSU-Morde, dms, 2-2014, S. 375-413.
https://doi.org/10.3224/dms.v7i2.17322

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Literaturhinweise