Open Access Freier Zugang (Open Access)  Eingeschränkter Zugriff Zugang für Abonnent*innen oder durch Zahlung einer Gebühr

Schwierige Verhältnisse: Menschenhandelsopfer und Geschlecht in Gerichtsverfahren

Rebecca Pates, Anne Dölemeyer, Julia Leser

Volltext: PDF

Abstract


Zusammenfassung

Das deutsche Strafrecht unterscheidet Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Unsere Untersuchungen zeigen, dass das soziale Objekt „Opfer von Menschenhandel“ trotz geschlechtsneutraler Gesetzgebung in popkulturellen Narrativen aber auch in Praktiken der Rechtsprechung stark vergeschlechtlicht ist. An die Zeuginnen bzw. Zeugen werden geschlechtlich codierte Erwartungen herangetragen. Dies ist nicht einfach in einem Sexismus der RichterInnen begründet, sondern ein struktureller Effekt der Logik von Rechtsprechung und institutioneller Pfadabhängigkeiten. So werden Standardnarrative zum weiblichen, unschuldigen Opfer sexueller Ausbeutung in der Prostitution zum Deutungshorizont in Gerichtsverfahren, an dem die realen Personen, die als Geschädigte aussagen, gemessen werden. Zur Arbeitsausbeutung fehlen dagegen verfestigte Narrative, und die Unterstützung von Betroffenen ist weit weniger institutionell verankert. Fälle von Arbeitsausbeutung werden deutlich seltener angeklagt, und die Betroffenen erscheinen vorrangig als ökonomische Subjekte und häufiger als Mitschuldige. In beiden Fällen resultiert dies in einem Verschwinden von Opfern: Im einen Fall aufgrund der Überdeterminierung, im anderen Fall aufgrund von Unterbestimmung.

-----

Difficult relations: How the Gender of Victims of Trafficking in Human Beings affect

Abstract

Trial Outcomes Abstract German criminal law distinguishes between trafficking in human beings for the purpose of forced labour and for sexual exploitation. Though the language of the law is gender neutral, our research shows that “victim of trafficking” as a social object is strongly gendered, both in standardized narratives about trafficking and in juridical practice. Courts and other institutional actors attending to witnesses in such trials work in accordance with strongly gendered expectations, not because of the sexism of individual judges, but due to the structural logic of German legal practice and institutional path dependency. Standardized narratives featuring feminine, innocent victims of sexual exploitation in prostitution structure the expectations of those who hear actual victim statements in trials, and affect how their statements are evaluated. Victims of labour exploitation reach the courts far less, and the victims are framed as economically interested subjects and often as active participants in their victimization. In both cases victims disappear: the one set of victims is over-, the other underdetermined, by expectation.

-----

Bibliographie: Pates, Rebecca/Dölemeyer, Anne/Leser, Julia: Schwierige Verhältnisse: Menschenhandelsopfer und Geschlecht in Gerichtsverfahren, Femina Politica, 1-2016, S. 24-39.
https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v25i1.23407

Literaturhinweise